RWJ 03/2023: Wild und Haustiere auf Grünland
Verträgliches Miteinander lässt sich organisieren
Der Rückgang zahlreicher Pflanzengesellschaften aus der Gruppe der von Mensch und Tier geprägten Heiden und Rasen, die heute zu gefährdeten Lebensräumen zählen, folgt in erster Linie aus Änderungen menschlicher Einflüsse, also v. a. traditioneller Bewirtschaftungsformen einschließlich deren Einstellung oder einer extremen Nutzungsintensivierung.

Ein gutes Miteinander von Haus- und Wildtieren erfordert gerade in Mittelgebirgen wildtierdurchlässige Zäune. | Fotos: M. Petrak (2), C. Schmied
Beweidung hatte und hat in vielen Landschaften eine wichtige Funktion
für die Entwicklung und Erhaltung schutzwürdiger Lebensräume, vor allem sog. Halbkulturformationen wie Heiden und Rasen. Pflanzenformationen spiegeln im Unterschied zu Pflanzengesellschaften unabhängig von der Artenzusammen-setzung die Anpassung an bestimmte Klima- und Nutzungstypen wider. Formationsbegriffe wie Wald, Heide, Wiese und Weide zählen zu den ältesten Lebensraumbeschreibungen aus der Menschheitsgeschichte. Waldweide, also
die Kombination von forstlicher und landwirtschaftlicher Nutzung, war in Mittel-europa weit verbreitet. Vor 100 Jahren gab es noch eine Vielzahl an Nutztier-rassen, standortangepasste, robuste und genügsame Haustiere ließen gemeinsam mit den Wildtieren vielfältige Lebensräume entstehen. Die Gruppe der von Mensch und Tier geprägten Heiden und Rasen zeigt heute noch die ursprüngliche Bedeutung von Haus- und Wildtieren für die Lebensräume auf. Entscheidend für die Pflegeleistung ist, dass sich verschiedene Nahrungstypen unter den Weidetieren gegenseitig ergänzen. Anschaulich wird deren Einfluss
auf den Wald, wenn man bedenkt, dass die Weideberechtigung zu Beginn des 19. Jahrhunderts oft mehr Rinder umfasste als heute dort Rotwild lebt.
Wiesen im Wald (Ausnahme: eigens auf der Holzbodenfläche angelegte Äsungsflächen) sind Zeugen früherer landwirtschaftlicher Nutzung in den Tälern.
Abhängig von der potenziell natürlichen Vegetation, den Standorteigenschaften und früheren Nutzungen bildeten sich dort verschiedene Pflanzengemeinschaften aus. Eine typische Abfolge in einem Bachtal beginnt mit dem Rohrglanzgras-röhricht unmittelbar im Bachbereich, der anschließenden Mädesüß-Flur (Brachestadium), Binsengesellschaften wie die der Spitzblütigen Binse auf dem Talboden. Bis dorthin reicht der bachbegleitende Erlenwald als potenziell natür-liche Vegetation und die sich dann anschließenden Grünlandgesellschaften wie die bärwurzreiche Magertrift in den Mittelgebirgen von der Eifel bis in den Thüringer Wald, die im HainsimsenBuchenwald als potenziell natürliche Zonalgesellschaft gedeihen.
Diese Pflanzengemeinschaften profitieren von der Beäsung durch Schalenwild. Umgekehrt dienen alle Maßnahmen, die diese Pflanzengemeinschaften fördern, auch dem Äsungsangebot des Wildes. Vielfach liegen solche Pflanzengemein-schaften heute in Naturschutzgebieten. In Abstimmung mit der Unteren Natur-schutzbehörde kann die Pflege durch Mahd auch im Rahmen des Forst- und Jagdbetriebs übernommen werden – wenn die Vorgaben des Pflegeplans eingehalten werden. Wer zusätzlich Heu für die Winterfütterung gewinnen will, sollte jeweils parallel zum Bachverlauf mähen: Als Heu für Winterfütterung eignet sich nur der Aufwuchs von Grünlandgesellschaften, die auf dem Standort der jeweiligen Zonalgesellschaft gedeihen, also etwa des Hainsimsen-Buchenwaldes.
Binsenreiche Mahdfraktionen sind als Heu zur Winterfütterung nicht geeignet,
da sie wegen der vielen Hohlräume in den Pflanzenstängeln unabhängig von der meist geringeren Äsungsattraktivität stark zur Verpilzung neigen. In der Regel lassen sich einzelne Pflanzengemeinschaften anhand der charakteristischen Farbe zum Mahdzeitpunkt gut ansprechen.
Wild braucht Weide im ganzen Jahr
Wiederkäuer-Gemeinschaften in der Naturlandschaft zeichnen sich durch
eine komplementäre Passung verschiedener Ernährungstypen (Konzentrat-Selektierer, Intermediär-Typen und Raufutter-Fresser) aus, die sich morpho-logisch-anatomisch, ernährungsphysiologisch und ökologisch in ihrer Wirkung
auf den Lebensraum ergänzen. Beispiel dafür ist die gute Passung von Rau-futter-Fressern (Rind) zum Intermediärtyp (Rothirsch, Wapiti, Bison).
Charakteristisch für Säugetiere auf der Nordhalbkugel ist die ausgeprägte Jahresperiodik des Verhaltens – für Menschen mit ihrer äquatornahen Herkunft (gleiche Tageslänge im ganzen Jahr) nicht selbstverständlich. Im Laufe der Kulturlandschaftsentwicklung traten an die Stelle der Wildwiederkäuer vielfach Haustiere. Während ursprünglich die Arbeitsleistung und Nutzung der Haustiere im Vordergrund stand, werden heute Haustierrassen vielfach zur Lebensraum-gestaltung eingesetzt. Damit treffen in vielen Lebensräumen aus Naturschutz-gründen gehaltene Haus- und Wildtiere aufeinander. Während die Haustiere Lebensräume meist phasenweise nutzen, sind Wildtiere darauf angewiesen, ihre Lebensansprüche während des gesamten Jahres im Lebensraum zu decken. Wesentlicher Faktor ist die Nahrungssituation im Lebensraum, die durch die Art der Beweidung und die ausgewählten Haustiere geprägt wird, für die stellvertretend Schaf, Ziege, Pferd und Rind stehen.
Im Zusammenspiel mit Wildtieren lassen sich hohe Biotopqualitäten erzielen.
Ein Beweidungsmanagement muss auch den Ansprüchen der Wildtiere Rechnung tragen. Wesentlich sind Nahrungsansprüche und Infektionsrisiken. Regelmäßige Fallwilduntersuchungen sind zur Klärung von Zusammenhängen, mögliche Ursachen für Erkrankungen und zur Gesundheitsüberwachung von Wildtieren unverzichtbar. Beweidung als landwirtschaftliche Nutzung strebt eine Versorgung der Haustiere und gleichzeitig eine gute Regenerationsfähigkeit beweideter Flächen an, sodass diese in der Regel nicht zu Konflikten mit Wildtieren führt, da diese Nutzung genügend Vegetationsstrukturen übrig lässt.
Beweidung als Biotopmanagementmaßnahme ist dann vergleichbar gut einge-passt, wenn sie die Ernährungssituation von Haus- und Wildtier im Fokus hält und den Beweidungswechsel zwischen den Biotopen auch einplant.

Viehsteige zeigen eine eher extensive Nutzung durch Weidetiere an.

Bärwurztrift – historisch entstanden, bis heute wertvoll für Wild.
Der Beweidungswechsel zwischen Biotoptypen muss den Ansprüchen auch der Hauswiederkäuer gerecht werden – je nach Art dauert es drei bis vier Wochen, bis sich der Pansen auf die neue Nahrungssituation eingestellt hat. Dies führt regelmäßig dazu, dass etwa Schafherden, die zwischen relativ nährstoffreichen und faserärmeren Grünlandgesellschaften in Auen und nährstoffärmeren oder strukturreichen Heiden wechseln, dort nicht die erforderliche Pflegeleistung erbringen (können), dafür aber alles leicht Verdauliche wegfressen, sodass sich die Nahrungssituation für Wildtiere verschärft.
Schafbeweidung aus Gründen der Biotoppflege muss bereits vertraglich sicherstellen, dass ein regelmäßiger Wechsel zwischen Lebensräumen mit unterschiedlicher Nährstoffstruktur unterbleibt, besonderes Thema sind heute
die Nachmahd bzw. Pflegeschnitte.
Die heute fehlende Notwendigkeit, den letzten Schnitt zur Haustierfütterung zu nutzen, die zunehmende Anschaffung größerer Maschinen (soweit das Gelände befahrbar ist) und der fehlende zoologische Blick ermöglichen heute Pflegezeit-punkte in Winterruhe zwischen Winter und Erstfrühling – also der nahrungs-knappsten Zeit. Dies führt zu einer gravierenden Nahrungsverknappung für Wildtiere.
Naturschutz und Grünlandpflege durch Haus- und Wildtiere erfordern Zäune, die für Wildtiere passierbar sind (Abb. 3). Gutes Grünland im Wald (auch an neuen Standorten) gewinnt in der Phase der Wiederbewaldung an Bedeutung. Beides erfordert umsichtige Lösungen.
Dr. Michael Petrak
LANUV NRW
Forschungsstelle für Jagdkunde u. Wildschadenverhütung, Pützchens Chaussee 228, 53229 Bonn, E-Mail: michael.petrak@lanuv.nrw.de