RWJ 02/2023: Editorial
Zwischen Auf- und Abrüstung
Nach einer Drückjagdsaison, die fast überall wieder wie vor Corona
über die Bühne ging, kehren nun eigentlich die Wochen ein, an die man sich früher noch unter dem Namen Schonzeit erinnerte. Man versorgte
in Notzeiten das Wild, schaute nach dem Rechten und machte allenfalls
beim Stangensammeln Beute.

Doch mit dem Zwang zur ununterbrochenen Sauenbejagung (Ausnahme führende Bachen) ist uns eine wirkliche Schonzeit irgendwie abhandengekommen. Umso wichtiger scheint es da zu sein, doch in der einen oder anderen stillen Stunde am Herdfeuer über vergangene Jagden nachzudenken und das kommende Jagdjahr zu planen:
Vielerorts hört man, dass die Strecken v. a. bei den Sauen zum Teil enorm zurückgegangen sind – woran mag das liegen ? Vor dem reflexartigen Bedauern dieser Tatsache (die sich beim hohen Vermehrungspotenzial der Sauen nach der starken Waldmast im Herbst 2022 aber genauso schnell wieder ändern kann !), sollte man allerdings auch so ehrlich sein, dass genau diese abgesenkten Bestände in ASP-Zeiten ja schließlich unser immer wieder erklärtes Ziel waren. Das haben wir erreicht, sicher. Aber vielleicht unbewusst noch etwas ganz anderes.
Der vermehrte Einsatz technischer Helferlein, mit denen man jederzeit in Ruck-sack und Waffenfutteral den eigenen Dauer-Mond mit sich führen kann, bleibt nicht ohne Folgen – weder im Revier, noch in den Wildkammern, v. a. aber auch nicht in unseren Köpfen ...
Auf der Dortmunder Messe konnte man vor wenigen Tagen wieder neueste Innovationen bestaunen und sich aus- und aufrüsten, in einer Jagdzeitschrift wurde jüngst im Detail beschrieben, wie man sich vor Bewegungsjagden mit Drohne und Wärmebildtechnik ein Bild davon macht, wo die Sauen stecken –
und dort gezielt zu Werke geht ...
Bei allen Möglichkeiten, die sich uns im Rahmen geltender gesetzlicher Vorschriften inzwischen eröffnen, sollten wir aber nie vergessen, dass Jagd
in erster Linie Handwerk ist und bleiben muss. Wer sich zu sehr auf moderne Technik einlässt und dabei seine eigenen Sinne vernachlässigt, verabschiedet sich unbemerkt und schleichend von einem wichtigen Teil unserer Passion. Wie spannend ist es, am frühen Morgen das Erwachen der Natur zu erwarten, auf jedes Geräusch zu lauschen, im ersten Licht Bewegungen wahrzunehmen und durchs Glas zu spekulieren, ob da nicht was ist …
Mit einer Wärmebildkamera zur Beobachtung ertappe auch ich mich manchmal dabei, „mal eben“ rundum zu scannen. Wenns dann irgendwo hell aufleuchtet, ist Wild schnell aus gemacht. Das mag in unübersichtlichem Gelände sehr praktisch sein, nimmt aber gleichzeitig die Spannung und den Zauber des Entdeckens und Aufspürens. Ebenso wie jede Chance, auch ganz bewusst mal was zu verpassen.
Dem Wild seine Chance geben formuliert Markus Moling in seinem höchst empfehlenswerten Buch „Wie wir jagen wollen“: „Im Blick auf den Einsatz von Technik braucht es eine Selbstbeschränkung. Zunehmende Technisierung führt nicht zuletzt zu einer starken Distanzierung vom einzelnen Wildtier, das getötet wird. Dies ... hat zur Folge, dass dem Jäger nicht mehr in aller Tiefe und Radikalität bewusst wird, dass er ein moralisch relevantes Lebewesen aus dem Kreislauf der Natur nimmt.“
Dazu kommt die Gefahr, unsere Akzeptanz in der Gesellschaft aufs Spiel zu setzen, wenn wir Wild mit all’ unserer technischen Überlegenheit de facto kaum noch eine Chance lassen.
Oder keine Ruhezeiten mehr zugestehen.
Weil es den Königsweg zwischen all’ diesen Extremen kaum gibt, ist es umso wichtiger, für sich selbst und mit anderen immer wieder nach dem richtigen Weg, dem rechten Maß, zu suchen. Auf diesen Weg möchte ich mich in NRW gern machen. Mit Ihnen gemeinsam.

Zum Titelbild: Bei passendem Winterwetter kann es in diesen Wochen auf Fuchs und Sau spannend werden ...
Titelbild: K. - H. Volkmar